Lange Zeit hatte Geschichte nur einen einzigen Zweck: Anhand von Geschichten aus vergangener Zeit sollten menschliche (Ur-) Erfahrungen, Überzeugungen und Einsichten verdeutlicht und tradiert werden. So war die Geschichte gleichsam eine Fundgrube von Geschichten, die den Zuhörern einen Erfahrungsschatz und somit Lebensweisheit an die Hand geben sollte – eine Lehrmeisterin des Lebens. Dieses eindimensionale Bild hat die moderne Geschichtswissenschaft längst überholt; sie formuliert verschiedene Ansätze auf die Frage, welchen Nutzen der Mensch aus der Beschäftigung mit Geschichte zieht.
Die Fachschaft Geschichte/Sozialkunde der DEO Kairo fühlt sich in dieser Frage den Erkenntnissen der aktuellen Geschichtswissenschaft und natürlich insbesondere der Geschichtsdidaktik verpflichtet. Hier steht die Vermittlung eines Geschichtsbewusstseins im Vordergrund, das eine historisch fundierte Gegenwartsorientierung ermöglicht:
Die Auseinandersetzung mit Geschichte bildet eine völlig eigenständige Denkform, Wahrnehmungs- und Reflexionsmöglichkeiten, die durch keinen anderen Fächerzugang zu ersetzen sind. Es ermöglicht die Auseinandersetzung mit dem kulturell Anderen, das immer zur Reflexion eigener Standpunkte zwingt und die Erkenntnis fördert, dass menschliches Denken und Handeln stets zeit-, standort- und interessengebunden ist. Anhand historischer Beispiele können Kategorien politischen und sozialen Handelns und Urteilens vermittelt und so die Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit der Schüler in Bezug auf politisch Prozesse in der Gegenwart gefördert werden.[1]
Gerade auch im sogenannten digitalen Zeitalter behalten diese Fähigkeiten ihre Bedeutung. Wird in der Presse das Zeitalter der „Fake-News“ ausgerufen, kann der geschichtskundige Bürger darauf verweisen, dass es sich hierbei keineswegs um ein neuartiges Phänomen handelt. Bereits die Pharaonendarstellungen weisen derartige Merkmale auf. Eigene Kenntnisse sind erforderlich, um die neuartige, schier unermessliche Flut von Informationen zu bewältigen, einordnen und kritisch beleuchten können. Der Umgang hiermit ist ein wichtiger Bestandteil des Geschichtsunterrichts im 21. Jahrhundert.
Aus den genannten Punkten ergibt sich die oben erwähnte Gegenwartsorientierung, die die Voraussetzung für die Mündigkeit des Bürgers ist, der informiert und reflektiert, kritisch und urteilsfähig am politischen und gesellschaftlichen Diskurs teilnimmt. Die Fähigkeit zu dieser Reflexion ist das Ziel des Geschichts- und Sozialkundeunterrichts an der DEO. Wirkt der Begriff der „Lehrmeisterin des Lebens“ also sicherlich etwas aus der Zeit gefallen, hoffen die Geschichts- und Sozialkundelehrer der DEO dennoch, einen wichtigen Beitrag für die Zukunft der Schülerinnen und Schüler zu leisten.
[1] Die Ausführungen beruhen auf Michael Sauer: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, 12. Aufl., Seelze 2015, S. 19f.