Amina ElFeky – 16 jährige ägyptische Schülerin qualifizierte sich kurzfristig für Olympia
Mein Herz hüpfte vor Freude, als ich von einer ehemaligen Kollegin erfuhr, dass Amina ElFeky in diesem Jahr bei Olympia mit dabei sei. An Amina erinnere ich mich gut, denn sie ist eine meiner ehemaligen Schülerinnen im Musikunterricht an der DEO (Deutschen Evangelischen Oberschule) in Kairo. Meine erste Erinnerung an Amina geht zurück in das Jahr 2015, als sie in der fünften Klasse war. Es war mein erstes Jahr an der DEO, und Amina spielte im Weihnachtsmusical die Wirtin in Bethlehem. Ich war damals ganz begeistert, wie resolut sie mit dem den Wirt spielenden Omar, ihrem damaligen Klassenkameraden, auf der Bühne umsprang, als es darum ging, Maria und Josef wenigstens einen Platz im Stall anzubieten. Im Laufe der Jahre begegneten wir uns neben dem Musikunterricht immer wieder auf der Bühne bei Schulveranstaltungen und später auch bei Jugend Musiziert. Amina ist nicht nur Sportlerin, sondern spielt auch Klavier und qualifizierte sich im Jahr 2019 für den Landeswettbewerb Jugend Musiziert in Athen – Klavier vierhändig, gemeinsam mit ihrer Klassenkameradin und Freundin Sara. Etwas verdattert waren meine Kollegin und ich in Athen dann, als Amina kurz nach ihrem Auftritt Hals über Kopf abreiste, um an einer Schwimm-Qualifikation teilzunehmen. Mehr erfuhren wir damals so schnell nicht und ahnten nicht, dass Amina einmal bei Olympia teilnehmen sollte. Umso mehr freute ich mich, als Amina mir nach ihrer Rückkehr aus Tokio ein Interview zusagte, um aus ihrer persönlichen Sicht über die Olympischen Spiele zu erzählen.
Die Corona-Pandemie war für Amina ein Glücksfall
Ich verabrede mich mit Amina per Zoom und treffe auf eine strahlende junge Frau am Strand im wohlverdienten Urlaub an der Nordküste, denn noch sind in Ägypten Schulferien. Nach dem ersten „Hallo“ kommen wir ins Gespräch und ich erfahre, dass die Qualifikation, für die sie damals aus Athen abgereist war, für einen anderen Wettbewerb und nicht für Olympia war. Die Qualifikation für Olympia fand erst sehr spontan und kurzfristig statt, und wäre Tokyo 2020 nicht wegen der Corona-Pandemie auf 2021 verschoben worden, hätten die Spiele in Tokio ohne Amina stattfinden müssen.
Amina erzählt, dass sich ein Mädchen aus dem bestehenden Team verletzt hätte und operiert werden musste, so dass fünf Monate vor Olympia ein Ersatz gesucht wurde. Drei Mädchen durften zur Qualifikation antreten, und Amina, mit ihren 16 Jahren als Jüngste, wurde für das Olympia-Team ausgewählt. Von da an begann eine intensive Vorbereitungszeit, die neben der Schule, die Corona bedingt online stattfand, auch täglich sechs Stunden Training bedeutete.
Aminas Disziplin ist Wasserballett, das auch als Synchronschwimmen bezeichnet wird und in Tokio 2020 als „Artistic Swimming“ als Disziplin vertreten war. Dazu zählen Mannschaftswettbewerbe und Duo-Wettbewerbe, jeweils in Technik und in Kür. Zu einer Mannschaft gehören immer acht Personen, und Amina war als Neunte als Reserve qualifiziert und überall aktiv mit dabei. Sie erzählt, dass der Altersunterschied im Team enorm sei, mit 16 sei sie die Jüngste, und die Älteste im Team sei bereits 24. Aminas Herausforderung war nicht nur sportlicher Natur. Sie kam als die Neue in das Team, wurde aber freundlich aufgenommen und von allen unterstützt, berichtet sie. Das Training sei sehr abwechslungsreich gewesen, aber auch unglaublich stressig und für sie sehr schwer. Es hätte immer auch wieder Besuche von Profis aus dem Wasserballett gegeben, die mit dem Team trainiert hätten.
Zum Training gehört nicht nur die Zeit im Wasser, sondern auch Fitness- und Krafttraining mehrmals pro Woche
Im Internet finden sich zahlreiche Berichte und Videos, was in einem Synchronschwimmtraining im Wasser absolviert wird. Begonnen wird das Training häufig mit Schwimmen und Gleiten auf dem Wasser sowie Atemtechnik und Training senkrecht unter Wasser mit dem Kopf nach unten. Zahlreiche Standard-Figuren gehören ebenso dazu wie das möglichst hohe Herausschnellen aus dem Wasser. Erst danach geht es an technische und kreative Formationen. Wasserballett klingt irgendwie niedlich, erfordert aber eine Menge Disziplin, und die Regeln sind strikt. Niemand darf während des Wettbewerbs aufhören zu schwimmen und auch nicht den Boden berühren, was besonders bei Hebefiguren und Artistik eine Herausforderung ist und ausschließlich aus der Kraft der Körper heraus erfolgt. Die richtige Musik, Zeitmanagement, perfektes Outfit, wasserdichtes Make-up und ein Dauerlächeln über Wasser gehören neben den sportlichen Leistungen im Wasser ebenfalls mit dazu. Jedes Team tritt zwei Mal an, einmal in technischer Disziplin und einmal in der Kür.
Nach fünf Monaten täglichen Trainings ging es dann nach Tokio. Amina erzählt weiter, dass die ESF, die „Egyptian Swimming Federation“, alles organisiert und bezahlt hätte, von den Outfits und den Accessoires über Flug und Aufenthalt. Zur ESF gehören alle Wassersportarten – konkret sind das Schwimmen, Tauchen (gemeint ist Synchronspringen, bei dem man in das Wasser eintaucht), Wasser-Polo, Synchronschwimmen sowie Freiwasser- Schwimmen. Mit schriftlichem Einverständnis der Eltern und in Begleitung der Trainerinnen Nour Elafandi und Anastasiya Chepak ging es dann am 27. Juli endlich los.
Ich frage Amina, wie es mit Corona in Tokio ging. Sie spricht davon, dass immer und überall, auch draußen, Maske getragen wurde und der Tag jeden Morgen mit einem Spucktest begann. Tatsächlich konnte das griechische Artistic-Swimming-Team am Wettbewerb nicht teilnehmen, weil eine Teilnehmerin positiv auf Corona getestet wurde. Für die Ägypterinnen ging gottlob alles gut.
In Tokio war das Team, wie alle anderen Sportlerinnen und Sportler auch, im Olympischen Dorf unter gebracht. Für das tägliche Training mussten sie mit dem Bus fahren, alles andere aber fand innerhalb des Olympiadorfes statt, so zum Beispiel auch alle Mahlzeiten in der großen Dining-Hall. Dort waren die Tische an drei Seiten durch Scheiben voneinander getrennt, und überall gab es Spender mit Alkohol, also mit Desinfektionsmittel. Wir lachen beide.
Der Alltag in Tokio startete vor allem für Aminas Teamkolleginnen etwas anstrengend. Viele von ihnen hatten mit dem Jetlag zu kämpfen und wachten nachts auf. Amina hatte das Problem nicht. Sie ging allmorgendlich zum Corona-Spucktest, dann zum Frühstück und anschließend mit dem Bus zum Training.
Ich war etwas verwundert, als Amina mir berichtet, dass sie bei der Eröffnungsfeier gar nicht dabei gewesen wären
Die Team-Wettbewerbe für Artistic-Swimming fanden am 6. und 7. August statt, so reiste man erst am 27. Juli an und hatte eine gute Woche Zeit für das Training vor Ort. Ich war ein bisschen enttäuscht, denn ich dachte, alle Athletinnen und Athleten seien immer während der kompletten Spiele vor Ort. Von der Schlussfeier erwähnt Amina vor allem, dass es super heiß war und sie dennoch offiziell gekleidet mit Jacke erscheinen musste. Der Moment, als die Flagge von Frankreich übernommen wurde für die Olympischen Spiele in Paris in 2024, der sei sehr bewegend gewesen.
Die Frage, was das emotionale Highlight für Amina war, beantwortet sie damit, dass das vor Ort sein bei den olympischen Ringen, der erste Eindruck vom Wettbewerbspool und die Bewertung des eigenen Teams die Momente mit den meisten Gefühlen waren. Das tollste Erlebnis kann sie mir gar nicht beantworten. Sie schwärmt so davon, in Tokio gewesen zu sein, alles wäre spannend und toll gewesen. Nur zu heiß war es. Die Temperatur ist sie ja aus Kairo gewohnt, nicht aber die hohe Luftfeuchtigkeit.
Dabei zu sein und Ägypten zu repräsentieren war wichtig
Wichtig war ihr aber, dass sie eine derjenigen war, die das Land Ägypten repräsentierten und dass sie sehr viele Athletinnen und Athleten aus verschiedenen Disziplinen und Ländern treffen konnte. Damit das Annähern leichter fiel, hatten alle Sportler und Sportlerinnen Pins mit Länderflagge, also Anstecknadeln, bekommen, die sie mit anderen Ländern tauschen konnten. Aus Italien, Spanien, Argentinien und vielen weiteren Ländern hat Amina Pins erhalten und überraschte eine deutsche Sportlerin mit ihren guten Deutschkenntnissen und dass sie in Kairo eine deutsche Schule besucht. Amina war begeistert, was alles angeboten wurde. Sie bekamen von den Freiwilligen viele Sachen geschenkt und sogar einen Friseur für die Teilnehmerinnen gab es.
Ziel für das ägyptische Team war es, besser als die Australierinnen abzuschneiden
Ich bin neugierig, mit welchen Erwartungen eine junge Frau für Ägypten zu den Olympischen Spielen reist. Amina nennt mir zwei Ziele, die sie erreichen wollten. Sie wollten ihre eigene Bewertung, die im Durchschnitt bei 70 von 100 Punkten lag, auf 80 verbessern und zudem das australische Team schlagen. Beides ist ihnen gelungen. Das ägyptische Artistic-Swimming-Team wurde mit 80 von 100 Punkten bewertet, eine neue Bestleistung für Ägypten, und das Team landete auf Platz 8 vor Australien auf Platz 9. Eine großartige Leistung.
Die Rückkehr nach Kairo war sehr emotional
Sie kamen am 12. August zurück und wurden mit Blumen von Familie und Freunden am Flughafen empfangen. Auf die Frage, wie es denn nun mit ihrem Sport, mit dem sie mit 16 bereits olympisches Niveau erreicht hat, weiter ginge, antwortet sie überlegt. Sie hat mit sieben Jahren angefangen zu trainieren und macht den Sport jetzt seit neun Jahren. Sie komme jetzt in die 11. Klasse und macht in zwei Jahren in Kairo ihr deutsches Abitur.
Sie will unbedingt auch weiter trainieren, und hofft, dass es neben dem Abitur zu schaffen sei. Ein Jahr nach dem Abitur finden die Olympischen Spiele in Paris statt, und da wäre sie gerne wieder dabei. Ob die Schule sie unterstützt hätte, frage ich sie abschließend. Ich dachte daran, dass sie eventuell für Trainings frei bekommen hätte oder ähnliches. Überrascht bin ich, als sie mir antwortet, dass das Arbeiten und Lernen in Gruppen, das sie an der Schule kennen gelernt hat, ihr beim Training im neuen Team sehr geholfen hätte.
Rückblickend auf die letzten Wochen und Monate betont Amina immer wieder, dass alles super spontan und kurzfristig war, aber dass es immer ihr Traum gewesen sei, in Olympia dabei sein zu dürfen, und jetzt habe sie die Chance einfach genutzt. Sie schwärmt, dass sie das Erlebnis niemals vergessen würde und dass der Sport bei Olympia in Tokio vor Ort selbst frei von allem Stress gewesen sei nach all dem anstrengenden Training. Ägypten zu repräsentieren wäre mit ein Grund gewesen, so hart zu trainieren und gut abzuschneiden. Von den anderen ägyptischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat sie einige Handballer, Fussballer und Gymnastik-Teilnehmerinnen in Tokio getroffen.
Ihre Pläne für die Zukunft nach dem Abitur und neben Olympia? Niemals Medizin aber Architektur oder Innenarchitektur, daran wäre sie interessiert. Klavier spielt sie auch immer noch, aber aufgrund des Olympia-Trainings nicht mehr so regelmäßig.
Über das Gespräch mit Amina habe ich mich unglaublich gefreut. Es zeigt so deutlich, dass im Schulalltag mit mehreren hundert Schülern pro Woche für den oder die Einzelne|n oft nur wenig Zeit bleibt. Dabei hat jeder und jede sicherlich seine eigene Geschichte und Erfolge. Amina gratuliere ich an dieser Stelle nicht nur für ihre kurzfristige olympische Qualifikation, sondern auch für ihren Mut, ihre Chance spontan zu nutzen. Für Paris drücke ich ihr die Daumen. Und wenn ich sie dann im Fernsehen beim Wettbewerb sehe, werde ich mit ein bisschen Wehmut und Stolz an meine ehemalige kleine Schülerin mit den quirligen braunen Locken zurückdenken – damals, im Musical in der fünften Klasse.
Autorin: Bremer, M. (2021, 19. August). www.nika-kairo.de
Alle Fotos (c) Amina ElFeky